Die Unbarmherzigkeit der Strasse

Buenos Dias aus Ambato!

Leider kommt der woechentliche Blogeintrag diesmal erst am Freitag statt am Donnerstag. Disculpanme por favor, aber wenn man im ecuadorianischen Aussenministerium in Quito das Visum erwartend vier Stunden warten muss, um im Endeffekt nur ein Foto zu schiessen, und dann einen Stress hat, um unbedingt rechtzeitig zur ersten Fiesta im Projekt zu kommen, bleibt fuer's Bloggen leider keine Zeit. ;)
Aber dafuer habe ich heute zwei Stories fuer euch.

 

Am Dienstag um etwa 10 Uhr, als wir endlich unsere morgendliche Arbeit erledigt und ausgiebig gefruehstueckt haben, kommt die Sozialarbeiterin des Projekts zu mir und stellt mir den 8-jaehrigen Isaac vor, den gerade die Polizei von der Strasse aufgegabelt und ins Projekt gebracht hat. Den Kopf nach unten gesenkt und von einem geradezu unheimlichen Gestank umgeben sitzt er da und spricht kein Wort. Als ich ihn nach seinem Namen und Alter frage, spricht er so leise, dass ich ihn kaum verstehe. Ich bringe ihn zunaechst ins Bad und gewaehre ihm eine warme Dusche (keine Ahnung, ob er dieses Privileg in seinem Leben je geniessen konnte). In der Dusche hinterlaesst er einen Haufen Dreck, der an eine Sumpflandschaft erinnert und seine Gummistiefel stinken selbst nach einer 20-Minuten-Handwaesche noch. Wie jedes neue Kind im Projekt, erhaelt er in Folge von Madre Anita eine frische Kleidung. Immer wieder versuche ich, ihn zum reden zu bringen, um etwas ueber seinen Hintergrund zu erfahren, aber jedes mal kommt nur ein verzweifeltes, unverstaendliches Fluestern heraus. Nachdem er seine Kleidung gewaschen hat, biete ich ihm an, mit mir und ein paar Kindern, die bereits mit der Hausuebung fertig sind, Fussball zu spielen. Hier zeigt sich nun sein grosses Talent. Unbestritten - vor mir steht ein neuer Messi. Endlich sehen wir ein Laecheln in seinem Gesicht. Am Sportplatz ist er offensichtlich in seinem Paradies. Jedoch spricht er immer noch nicht viel. Aber wir sind ueberzeugt, seine Schuechternheit brechen zu koennen.. Allerdings..
Am Mittwochnachmittag, als wir gerade mit unserer Arbeit beginnen, ist er ploetzlich nicht mehr da. Unsere Hoffnung - die Psychologin und Sozialarbeiterin werden seinen Hintergrund erfahren haben und ihn zu seinen Eltern gebracht haben. Unsere Befuerchtung - er ist abgehauen und hat sich wieder auf die Strasse begeben. Leider haben wir bis jetzt noch nichts darueber in Erfahrung gebracht, aber wir hoffen das Beste fuer ihn..

Jonatan, etwa 11 Jahre alt, ist im Moment wohl das schwierigste Kind im Projekt. Er weigert sich, jede auch nur kleinste Aufgabe zu erfuellen, zeigt keinen Respekt, meckert andauernd und geht permanent auf andere Kinder los. Er kostet uns eine Menge an Nerven. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille..
Am Montagnachmittag, als normalerweise die letzten Kinder, die das Wochenende nicht im Projekt verbringen, eintreffen, taucht er nicht auf und keiner weiss, warum und wieso. Die Vermutung vn uns, dass er nun wohlbehalten bei seiner Familie sei und die Familienzusammenfuehrung geklappt habe, trifft aber leider nicht zu. Am Dienstagabend, als alle Kinder schon im Bett liegen, kommt der weinende, humpelnde Junge mit seiner Mutter in der Herberge an. Was er erzaehlt, geht einem unter die Haut. Er sei am Montag von zu Hause ausgerissen, weil ihn seine Eltern geschlagen hatten, und als ihn die Polizei am Dienstag beim Stehlen erwischt hatte, verpruegelten ihn die Polizisten kurz und klein. Seine Wunden am Bein sehen schrecklich aus. Obwohl er wieder nur kleinklaute Kommentare von sich laesst, tut er mir wahnsinnig leid und ich entscheide ihn zunaechst in Ruhe zu lassen.

 

Die Kinder hier sind auch nur das, was die Erziehung bzw. die Strasse aus ihnen gemacht hat. Damit umzugehen, ist nicht immer leicht, aber wir lernen immer mehr, auf die Kinder individuell einzugehen und ihnen soweit wie moeglich unsere Werte von Gewaltfreiheit bis zu Gemeinschaft beizubringen.

Am Donnerstag allerdings, sind diese Probleme fuer ein paar Stunden vergessen. Die alle 3 Monate stattfindende Fiesta steht an. Was es zu feiern gibt? Die Geburtstagskinder von Juni bis August und der Studienabschluss von Jessica. Gefeiert wird mit viel Kuchen, Tanz- und Gesangeinlagen der Kinder und natuerlich Tanzen, Tanzen, Tanzen, wie bei allen Festen hier. Es ist eine wahrliche Freude, mit welcher Begeisterung hier ausnahmslos ALLE Kinder dabei sind. Beim Tanzen entwickelt sich endlich ein richtiges Gemeinschaftsgefuehl. Leider konnten wir nicht von Anfang an dabei sein, weil sich, wie schon gesagt, der Visa-Termin etwas hinausgezoegert hat. Aber ohne Frage eine schoene Erfahrung!

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama und Laura (Freitag, 28 September 2012 19:10)

    Hallo Manuel, oder Manolo, wie wir dich jetzt schon nennen. Ich habe soeben deinen Blogeintrag Laura vorgelesen und sie hat ganz gespannt gelauscht. Heute Nachmittag hat sie einen Flieger über uns drüberfliegen gesehen und gefragt, ob denn das unser Flieger nach Ecuador ist und er soll uns doch mitnehmen. Das soll heißen, wir platzen schon vor lauter Neugierde.
    Freuen uns schon auf die nächste Nachricht von dir. Liebe Grüße von zuhause.

  • #2

    Oskar (Dienstag, 02 Oktober 2012 14:03)

    Bin schon auf nächste Woche gespannt und ob´s bei den zwei Burschen eine Fortsetzung gibt

  • #3

    Pauline, Pfarrhof Berg (Donnerstag, 04 Oktober 2012 20:37)

    Lieber Mani!
    Gestern erfuhr ich von deiner Mutter, dass ich auf diese Weise deine Erlebnisse lesen kann. Ich habe nun alles auf einmal durchgelesen. Das ist alles sehr interessant. Du hast es nicht leicht, aber du bist voller Ideale. Das ist super. Ich wünsche dir viel Kraft und Mut. Ich denke oft an dich und werde wöchentlich deine Nachricht lesen und wenn möglich auch kommentieren.