Alltag? Fehlanzeige!

Schon bei unserer Ankunft wurde uns gesagt, dass sich hier in der Fundacion Don Bosco wohl nie so etwas wie ein Alltag einspielen wird, da sich immer wieder einmal alles aendert, alles umgekrempelt wird und ein gestern gesprochenes Wort heute nicht mehr zaehlen muss.

 

Gerade im Moment wird uns dieser Umstand besonders bewusst. Letzten Donnerstag hatten wir noch eine Besprechung ueber die eigentlich endgueltige Arbeitsaufteilung und nun scheint sich wieder alles zu aendern. Grund: Die deutschen Volontaerinnen haben beschlossen, schon nach 2 Wochen mit ihrem Ecuador-Abenteuer abzuschliessen und fliegen am Sonntag in die Heimat.

 

Und dem noch nicht genug, wird immer noch um die derzeit noch fehlende finanzielle Unterstuetzung der Regierung gekaempft, weshalb es im Projekt ueberall an Geld mangelt. Derzeit laeuft nur eines der drei Teilprojekte, und zwar die Herberge, in vollem Gange. Im Zentrum gibt es nur einen Educador (Lehrer) und mit dem Abgang der Deutschen auch nur mehr zwei Volontaere (Armin und Ricardo, ein nationaler Volo), die aber beide eigentlich nur halbtags im Zentrum und die andere Haelfte auf der Strasse arbeiten sollten. Die Italienerinnen arbeiten nur auf der Strasse.

 

Es sieht nun derzeit so aus, dass es im Zentrum keine finanziellen Mittel fuer eine Ausspeisung gibt und nicht genug Kraefte fuer 200 Kinder. Daher gibt es dort derzeit nur die Erwachsenenbildung (woran die Volos nicht beteiligt sind), Nachhilfe und Hausuebungsbetreuung fuer einen Bruchteil der eigentlich geplanten Zahl an Kindern und zudem werden Puppen genaeht und Grusskarten gebastelt, die an auslaendische Spender geschickt und sowohl im In- als auch im Ausland verkauft werden. Aber die so dringende finanzielle Unterstuetzung der Regierung ist nicht aussichtslos.

 

Aber zumindest in der Herberge spielt sich eine Art Alltag ein, der es mir schoen langsam doch moeglich macht, meine Tage zu planen. Was aber nicht heisst, dass das so bleiben muss, denn die naechste Besprechung folgt am Montag.

 

Die Arbeit mit den Kindern gefaellt mir von Tag zu Tag besser und wir bekommen auch immer mehr Einblick in die tragischen Hintergruende, was uns dabei hilft, ueber negative Eigenschaften hinwegzusehen oder diese zumindest zu verstehen. Am Dienstag warfen Alex und ich zum ersten Mal einen Blick in die Akten, worin sowohl von der Sozialarbeiterin als auch von der Psychologin Protokoll gefuehrt wird. Im Grunde genommen sind die Geschichten der Kinder ziemlich aehnlich. Koerperliche und psychische Gewalt oder fahrlaessige Vernachlaessigung seitens der Eltern, Leben in bitterster Armut.. dies liest sich teilweise schon fast selbstverstaendlich. Aber wenn man einmal ein detailiertes Protokoll einer Vergewaltigung lesen darf, ueberlegt man sich doch, ob man das Abendessen diesmal nicht lieber auslassen moechte. All dies gehoerte oder gehoert jedoch immer noch zum Alltag der Kinder, wenn sie bei ihren Familien sind. Und was am Wochenende passiert, wenn die meisten Kinder nach Hause gehen (duerfen?!) – das koennen wir leider weder wissen noch beeinflussen.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama (Freitag, 12 Oktober 2012 07:46)

    Hallo Mani!
    Bei deinem Eintrag ist mir jetzt gleich der Kaffee im Hals steckengeblieben, ich glaube, du weißt, was das heißt. Sich an Kindern derart zu vergehen, ist das wohl Schrecklichste, was man ihnen antun kann. Diese Wunden zu heilen, wenn das überhaupt möglich ist, bedarf wohl einer Riesenportion an Fingerspitzengefühl. Ich wünsche dir für diese Aufgabe viel, viel Kraft und Energie.

  • #2

    Papa (Freitag, 12 Oktober 2012 20:45)

    Hallo Mani
    Ich habe mir gerade das Österreich Spiel angesehen und mich dabei ziemlich geärgert, wenn ich dann deine Zeilen hier lese wird mir aber gleich wieder bewusst was im Leben wirklich wichtig ist. Ich glaube das hilft auch uns zu Hause die Schwerpunkte richtiger einzuschätzen
    Alles Gute

  • #3

    Oskar (Dienstag, 16 Oktober 2012 13:58)

    Wenn ich darüber lese was Kindern alles angetan wird, werde ich wie immer richtig wütend. Diese Wut ist auch der Grund wesshalb ich nur mit den Kindern selber als Oper arbeiten kann und nie mit den Tätern. Lese die Akten damit du das Verhalten der Kinder besser verstehst, jedoch ist dann umso wichtiger den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen und nicht das Problem. Jedoch finde ich wichtig das hier und jetzt in den Mittelpunkt zu stellen und mit Ben Furman´s Worten Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben!
    alles Gute Mani